Call for Papers

24. März 2009

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Die Einteilung der Gesellschaft in eine politische Mitte und extreme Ränder ist ein gängiges Bild. Verschiedene Kritiken an dieser Konzeption zeigen jedoch, dass das Extremismusmodell erhebliche analytische Schwächen aufweist und zugleich politisch folgenreich ist. Es suggeriert klare Grenzen (zwischen Innen und Außen) die inhaltlich nur schwach bestimmbar sind und konstruiert eine gesellschaftliche „Mitte“ als per se „guten“, weil demokratischen Bereich. Darüber hinaus legt es Ähnlichkeiten zwischen linkem und rechtem „Rand“ nahe und verdeckt so den Blick auf wesentliche Unterschiede. Trotz dieser Mängel ist die Rede vom politischen Extremismus allgegenwärtig: In medialen Debatten, politischen Auseinandersetzungen und nicht zuletzt in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem, was als „Rechts-, Links- und Ausländerextremismus” bezeichnet wird. Selbst diejenigen, die das dahinter liegende Modell ablehnen, kommen kaum umhin, den Begriff zu verwenden.

Wie kam es dazu? Was macht das Extremismusmodell trotz seiner Schwächen so definitionsmächtig und attraktiv? Mit diesem Paradox wird sich der Workshop auseinandersetzen. Ziel ist es, über analytisch adäquatere wissenschaftliche Zugänge und Begriffe nachzudenken und Möglichkeiten zu entwickeln, diese für die praktische Arbeit fruchtbar zu machen. Grundlage dieser Überlegungen werden einerseits Analysen der Entstehung und Implikationen des Extremismuskonzepts sein. Andererseits werden analoge und abweichende Interventionen aus Gesellschaft und Politik diskutiert.


Zu diesen (und anderen) Bereichen rufen wir zur Einsendung von Beiträgen auf:

Abstracts von nicht mehr als 300 Wörtern senden Sie bitte bis zum 1. Mai 2009 an
workshop@ordnungmachtextremismus.de. Sie bekommen bis spätestens 15.6. eine Rückmeldung.

Sowohl die Anzahl der Teilnehmenden, als auch das Verhältnis von Vorträgen und Diskussion folgen dem Ziel einer intensiven Auseinandersetzung (Workshopcharakter). Die Vorträge sollten eine Länge von 30 Minuten haben. Eine Publikation der Beiträge des Workshops ist geplant.

Die Erstattung von Fahrt- und Übernachtungskosten wird angestrebt.

Geschichte(n) des „Extremismus“ und seiner Theorie

Es werden immer wieder ernsthafte Zweifel laut, ob es sich beim Extremismusansatz um eine wissenschaftlich überzeugende Theorie handelt. Dennoch steht fest, dass sich die mit dieser Sichtweise entwickelten Begrifflichkeiten im politischen und wissenschaftlichen Diskurs weitestgehend durchgesetzt haben. Mit diesen Begriffen wird immer auch ein Wissen um die Ordnung der Gesellschaft (re-)produziert – nach dem Muster: „politische Mitte” und „extreme Ränder”.

Uns interessieren die Geschichten dieser Hegemonie des Extremismus. Theoriegeschichtlich könnten beispielsweise Kontinuitäten und Brüche zwischen Totalitarismus- und Extremismustheorie untersucht werden. Genealogisch ließe sich ausleuchten, welche Einflüsse und Entwicklungen des „Extremismus-Denkens“ es gegeben hat – sowohl allgemein begriffsgeschichtlich, als auch in der spezifisch-historischen Entwicklung des Konzepts in der Bundesrepublik.

Darüber hinaus bietet sich aus unserer Sicht eine demokratietheoretische Diskussion an. Extremismus und Demokratie werden in der Tradition der Extremismustheorie einerseits als fundamentale Gegensätze bestimmt, geben sich aber andererseits wie zwei Seiten einer Medaille gegenseitig Halt. Was folgt aus diesem formalistisch-institutionellen Demokratieverständnis für die Konzeption des Politischen, also für das Verhältnis von Staat, Ordnung, Demokratie und Gesellschaft? Fruchtbare Kritik ließe sich beispielsweise aus der Konfrontation mit radikalen Demokratietheorien gewinnen.

  • Wie wurde die Theorie bzw. das Konzept des „Extremismus” hegemonial?
  • Welche Entwicklungen, Um- und Neudefinitionen lassen sich begriffs- und konzeptgeschichtlich nachzeichnen?
  • Welche Kontinuitäten und Brüche gibt es zwischen Totalitarismus- und Extremismustheorie?
  • Wie wird „Extremismus” in anderen Ländern theoretisch (nicht) gefasst?
  • In welchem Verhältnis stehen Demokratie, Ordnung und Staat aus Sicht der Extremismustheorie?
  • Welche Konsequenzen haben diese Vorstellungen für das Politische?
  • Welche Sichtweisen ergeben sich aus alternativen Demokratieverständnissen?

Regierung und Verwaltung von „Extremisten“ in der Praxis

Die Frage einer Wirkungs- und Effektgeschichte des „Extremismus” in der konkreten Praxis blieb in der Forschung bisher seltsam unbeantwortet. Dies irritiert, weil doch die Grenzziehungen der Extremismustheorie im institutionellen Gefüge der Bundesrepublik erhebliche Definitionsmacht erhalten haben. Das Koordinatensystem der Extremismustheorie bietet ein normatives Regelwerk zur Überführung gesellschaftlicher Komplexität in klare Kategorien von Gefahr und Kontrolle, Freund und Feind. Darin liegt (vermutlich) seine unwiderstehliche und langlebige Praxistauglichkeit.

Die Anwendungsbereiche dieses Deutungsangebotes sind vielfältig (Gesetze, Verwaltung, pädagogische Programme, Statistiken, Urteile). Allerdings: So homogen die Form dieser Problematisierung der „Extreme” erscheinen mag, so wenig lässt sich von ihr kausal auf die Details von daran anknüpfendem Regierungs- und Verwaltungshandeln schließen. Es existieren unterschiedliche, sehr heterogene Problembeschreibungen: Beispielsweise kann ein unter „Rechtsextremismus” beschriebenes Phänomen als Konflikt zwischen staatlicher Ordnung und Feinden dieser Ordnung definiert werden oder als Konflikt zwischen normalem und deviantem Verhalten von Individuen.

Wir interessieren uns für Analysen, die den Details der Regierung von „Extremisten” in der konkreten Praxis nachspüren.

  • Wie wird das Phänomen des Rechts-/Links-/Ausländerextremismus z. B. in Programmen und im Verwaltungswissen definiert und produziert?
  • Auf welche Weise korrespondieren diese Problematisierungen mit (staatlichen und zivilgesellschaftlichen) Handlungslogiken?
  • Wie funktionieren die Grenzziehungen in den konkreten Praktiken?
  • Wie soll die Regierung von Extremisten zur Herstellung von Ordnung beitragen?
  • Welche Ordnung(en) provoziert/provozieren diese Interventionen?

Entwicklung und Vermittlung von Alternativen

Neben den Fragen nach den Dimensionen des Extremismusansatzes und den Details seiner Hegemonie interessiert uns insbesondere die Diskussion alternativer wissenschaftlicher Ansätze. Die Liste dessen, was gemeinhin unter dem Begriff „Rechtsextremismus” gefasst wird, ist lang. Diese Funktion als Sammelbegriff macht einen Teil seiner Attraktivität aus – und zugleich seine analytische Problematik. „Rechtsextremismus” reicht vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft und umfasst ein Arsenal von Einstellungen, Ideologieelementen, Praktiken und Organisationsformen. Dass diese sich nicht plausibel in geschlossene Weltbilder an gesellschaftliche „Ränder” auslagern lassen, ist eigentlich bekannt: der Hinweis darauf gehört mittlerweile zum Standardrepertoire der Einschränkungen, mit denen der wissenschaftliche Gebrauch des Extremismusbegriffs versehen wird.

Wir interessieren uns also für theoretische Arbeiten, die solche und andere analytische Schwächen thematisieren und methodologische Anforderungen an alternative Ansätze und Theorien formulieren. Auch Analysen der Probleme in der praktischen (zivilgesellschaftlichen) Arbeit mit dem Begriffsapparat der Extremismustheorie könnten Hinweise auf solche Anforderungen liefern. Gleichzeitig interessieren uns Beispiele möglicher Alternativen: z.B. Analysen von Gewalttaten, Alltagsrassismus und diskriminierenden Artikulationen im öffentlichen Raum oder den Medien, aber auch Analysen zu Neonazismus als soziale Bewegung oder (Jugend-/Sub-)Kultur und die Bedingungen ihrer (regionalen) Hegemonie.

  • Wie lassen sich konkrete Bedrohungen (bspw. rassistische Gewalt) in ihrer gesellschaftlichen Komplexität beschreiben ohne sie zu banalisieren?
  • Wie lassen sich theoretische (Kurz-)Schlüsse und verkürzende Kausalketten (bspw. Pathologisierung, Moralisierung) vermeiden?
  • Welche Wissenschaftstraditionen in Deutschland und andernorts sind dabei anschlussfähig?
  • Wie können praktische, alltägliche und politische Probleme bei der Arbeit mit dem Begriffsapparat der Extremismustheorie in alternative wissenschaftliche Ansätze übersetzt werden?
  • Wie lassen sich solche alternativen und vermutlich komplexeren wissenschaftlichen Deutungsmuster vermitteln, respektive praxisrelevant machen?

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